Eine überaus anmutige Gestalt ist Ostara, die Göttin des Frühlings und des aufsteigenden Morgenlichts. Sie versinnbildlicht gleichsam die Auferstehung der Natur aus tiefem Winterschlafe. Eine Tochter Wotans und Frickas (Frigg), begleitete sie ihren Bruder Donar stets bei dem festlichen Einzuge, den er nach Besiegung der Winterriesen im Frühling hielt. Sie ward auch "Maikönigin" genannt, und die Gestalten des "Maigrafen" und der "Maigräfin", die noch heute bei den Oster- und Frühjahrsumzügen die Hauptrolle spielen, sind ganz bestimmt auf Donar und Ostara zurückzuführen. Die Verehrung der Göttin wurzelte so tief in dem deutschen Volke, dass es dem in die gleiche Zeit fallenden Auferstehungsfest der christlichen Kirche den Namen Ostaras gab und auf keine Weise davon abzubringen war. "Ostar" bedeutet "Morgen", d.h. die Richtung, aus welcher das Licht, der Frühling kommt. Der "Ostermonat" ist der April, in welchem das Erwachen der Natur mit unserem christlichen Auferstehungsfest zusammenfällt... Als Lieblingstier Ostaras galt wegen seiner Fruchtbarkeit der Hase. Da nun das Ei schon damals als das Sinnbild des keimenden Lebens angesehen und deshalb, wie der Hase, der Göttin geweiht wurde, so verbanden sich diese beiden Vorstellungen schließlich in dem Denken der Germanen miteinander. Auf diese Weise entstand der Glaube, dass der Hase an dem heiligen Gründonnerstag in der Osterzeit die "Ostereier" lege. Sie waren natürlich mit den Farben Donars und Ostaras, rot und gelb gefärbt. Solche bunten Eier opferte man den beiden Gottheiten des Frühlings, und man beschenkte sich auch gegenseitig in der Osterzeit damit. Der Göttin Ostara war besonders die erste Nacht des wonnigen Frühlingsmonats Mai geweiht. Riesige Feuer, als Wahrzeichen Donars, wurden entzündet, und Maiblumen und Frauenschühlein, die Lieblingsblumen der Göttin hineingeworfen. Es wurden feierliche Umzüge gehalten; an vielen Orten ward auch eine riesige Puppe, die den durch Donars Gewalt vertriebenen Winterriesen darstellte, auf einen Scheiterhaufen gelegt und verbrannt., zum Zeichen, dass des Winters Macht gebrochen und neuer Frühling und neue Wonne ins Land eingezogen seien.... Die Priester versuchten es, an Stelle der leidenschaftlich verehrten Ostara die heilige Walpurgis zu setzen, und als auch das mit großen Schwierigkeiten verknüpft war, nannten sie die Osterfeuer - Teufelsspuk und die Priesterinnen Ostaras - Hexen. So ward aus der herrlichen Maifeier der Göttin der Hexensabbat auf dem Blocksberge, und aus der lieblichen Ostara und ihren Genossinnen jene Schar von Hexen, die sich in der ersten Maiennacht auf jenem Berge zu schauerlichen Festen zusammenfinden sollen. Um sich vor diesen Unholdinnen zu schützen, macht der Bauer noch heute am ersten Mai an seine Stalltür drei Kreuze und legt einen Besen auf die Schwelle; denn vor dem Zeichen des Kreuzes und vor einem Besen weichen die bösen Geister zurück. Wer keine solchen Vorsichtsmaßnahmen trifft, der kann es erleben, dass ihm die Kühe am nächsten Morgen mit bösen Krankheiten behext sind, oder dass sie rote Milch, statt weißer, geben. Unter dem Blocksberg ist der Brocken, der höchste Berg des Harzes, gemeint. Dieses Gebirge ist überhaupt mit der germanischen Sagenwelt eng verknüpft, ebenso der Teutoburger Wald. Im Harz gibt auch noch der Hexentanzplatz Kunde von dem heidnischen Glauben unserer Vorfahren. Jene erste Maienacht aber, in welcher die Hexen auf feurigen Besen durch die Luft nach ihrem Sammelplatz reiten, haben die Germanen nach der Heiligen benannt, die ihnen die Göttin ersetzen sollte. Die erste Maiennacht heißt in deutschen Landen noch immer die "Walpurgisnacht".